Der Einfluss von Umweltidentitäten
Menschen haben eine komplexe Beziehung zur Natur. Zwei Schlüsselfaktoren beeinflussen dabei, ob sie sich nachhaltig verhalten: inwieweit sie sich der Natur verbunden fühlen und ob sie bei Konsumentscheidungen an diese Verbundenheit denken. Wir zeigen, dass das Denken an die Beziehung zur Natur entscheidender ist als die Beziehung selber. Diese Erkenntnis ist relevant für die umweltpsychologische Forschung und für Massnahmen zur Förderung eines nachhaltigen Konsums.
Hintergrund
Wie können wir freiwillige nachhaltige Verhaltensweisen fördern? Diese Frage steht im Mittelpunkt der aktuellen umweltpolitischen Forschung und ist zentral für wirksame Massnahmen. Denn Verhaltensvorschriften können sich mit rechtlichen Rahmenbedingungen und politischen Entscheiden ändern und daher nicht langfristig gewährleisten, dass sich die Bevölkerung wirklich engagiert. Unsere Forschung befasst sich mit einem Schlüsselmechanismus, der freiwilligen Verhaltensweisen zugrunde liegt: der Identitätsmotivation, die dazu führt, dass Menschen durch ihr Handeln zum Ausdruck bringen, wer sie sind. Die Umweltidentität ist ein Konzept, das im Bereich der Nachhaltigkeit für einen Grossteil des identitätsbasierten Verhaltens verantwortlich ist, das jedoch noch unzureichend verstanden wird.
Ziel
Wir untersuchen den Einfluss der Umweltidentität – das Gefühl der Verbundenheit einer Person mit der Natur – auf das persönliche Verhalten in Sachen Nachhaltigkeit. In einem ersten Schritt geht es um das komplexe Konzept der Umweltidentität, dann richten wir den Blick auf die einzelnen Komponenten, insbesondere wie stark ausgeprägt die Identität ist (Identitätsstärke) und inwieweit eine Person bei einem Konsumentscheid an diese Identität denkt (Salienz). Dabei stellen wir die Frage, welche dieser zwei Komponenten die Entscheidung stärker beeinflusst.
Resultate
Umweltidentitäten und Eigenschaften der Betroffenen
Die Umweltidentität steht für die persönliche Beziehung, die ein Mensch zur Natur entwickelt hat. In den letzten 20 Jahren wurde dieses Konzept und die Messbarkeit der Identität relativ eingehend erforscht, hingegen gibt es noch kaum Forschung über die Beziehung der Umweltidentität mit anderen psychologischen Konzepten. Unsere Befragungen haben ergeben, dass die einzelnen Menschen komplexe Ansichten und Beziehungen zur Natur haben. Überdurchschnittlich stark ausgeprägt ist die Umweltidentität von Menschen mit folgenden Eigenschaften:
- Die persönlichen Werte sind weniger materiell und mehr moralisch und grün geprägt.
- Die Persönlichkeit zeichnet sich durch mehr Selbstachtung, mehr Konsensbereitschaft und mehr Offenheit für Neues aus.
- Die Ansichten über die Natur sind positiver und stärker.
- Die Betroffenen geben eher an, dass sie sich für soziales und ökologisches Verhalten engagieren und ein geringeren Interesse an Statuskonsum haben.
- Soziodemografisch gesehen leben diese Menschen eher in ländlichen als in städtischen Gebieten.
Die Auswirkungen von Identitätsstärke und -salienz auf nachhaltiges Verhalten
Mit Umfragen und Experimenten untersuchten wir den Einfluss der Umweltidentität auf das nachhaltige Verhalten. Dazu analysierten wir den Einfluss von zwei Identitätskomponenten: die Stärke der Identität bzw. die Präsenz der Umweltidentität (Salienz) bei konkreten Konsumentscheiden. Wir haben neuartige Messgrössen und Experimente zur Bewertung der Salienz entwickelt und die bestehenden Messgrössen für die Stärke der Umweltidentität optimiert. In unserer Studien – sowohl bei Selbsteinschätzungen als auch bei Beobachtungen über tatsächliches Verhalten – war es bei vielfältigen Entscheiden vor allem relevant, ob Personen an ihre Umweltidentität denken, und nicht, wie stark diese ist. Vermutlich haben diese beiden Identitätskonstrukte auch gewisse unabhängige Auswirkungen auf nachhaltiges Verhalten. Massnahmen, die bewirken, dass Menschen bei einem Konsumentscheid an ihre Umweltidentität denken, dürften somit breite Konsumgruppen ansprechen. Denn unabhängig davon, für wie wichtig jemand den Umweltschutz hält: Wenn die Person bei einem Konsumentscheid an ihren Bezug zur Natur erinnert wird, hat dies häufig einen Einfluss darauf, ob sie sich für ein nachhaltigeres Verhalten entscheidet.
Weiterführende Forschung und Kooperationen
Auf der Grundlage dieser Ergebnisse nehmen wir am Co-Creation Lab «Nachhaltiges Verhalten und Konsum» des NFP 73 teil. Zusammen mit zwei anderen Gruppen haben wir das Swiss Sustainable Consumption Observatory (SSCO) ins Leben gerufen, das regelmässige, landesweit repräsentative Erhebung über die Identität, die Einstellungen und das ökologische Verhalten der Bevölkerung macht. Unsere ersten Ergebnisse bestätigen die Erkenntnisse aus unserem NFP-73-Projekt und die gezogenen Schlussfolgerungen. Zudem zeigen Sie auf, welcher Forschungsbedarf besteht, insbesondere zur Frage, welche Arten von Verhalten und welche anderen Identitäten relevant für das Umweltengagement der Bevölkerung sein können. Einige dieser Fragen werden wir im Zeitraum 2023-2026 mit einem SNF-Folgeprojekt (Nr. 100013_212337) untersuchen, unter anderem mit einem Implementierungsnetzwerk mit akademischen und anderen Partnern.
Bedeutung für die Forschung
Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig es ist, die Forschung von der Frage wegzulenken, wie stark ausgeprägt die Umweltidentität ist, und stattdessen hin zur Frage, wie präsent diese Identität bei Entscheiden über nachhaltiges Verhalten ist. Notwendig sind weitere Erkenntnisse über die Art der Konsumsituationen und der Verhaltensweisen, die am ehesten bewirken, dass Menschen an ihre Umweltidentität denken, und wie sich diese Effekte so maximieren lassen, dass möglichst effektive Verhaltensänderungen daraus resultieren. Besser erforscht werden sollten zudem die strukturellen Beziehungen zwischen den verschiedenen Arten von Identitäten, die das nachhaltige Handeln einer Person prägen.
Bedeutung für die Praxis
Unsere Forschungsarbeiten lassen darauf schliessen, dass Massnahmen, welche an die Identitätsmotivationen der Menschen appellieren, sie zu nachhaltigem Handeln in Bereichen wie Einkaufen, Produktwahl und Abstimmungen bewegen können. Damit können einfach umzusetzende Instrumenten für die Praxis bereitgestellt werden, insbesondere zum Messen oder zur Beeinflussung verschiedener Aspekte der Umweltidentität von Menschen und ihres individuellen nachhaltigen Handelns. Wir geben auch Empfehlungen dazu ab, wie gezielte identitätsbasierte Botschaften verfasst werden können, die ein nachhaltiges Verhalten der Menschen fördern.
Publikationen
Projektleitung
Prof. Dr. Sandor Czellar
Département de Marketing, Université de Lausanne
Projektpartnerschaften
Ville de Morges